Berlin – Im Herzen der grossen Stadt
Rezension von André Jarosch

Das Cover hat die gleiche gute Aufmachung, wie alle aus dem Hause Pegasus kommenden Produkte; in seiner Mitte prangt das Wort BERLIN, welches es etwas einfacher macht dieses Buch auf Anhieb als das zu identifizieren was es ist.

Den Anfang macht der Berlin-Quellenteil „Golden glänzt Berlin“, der mit 27 Seiten nur einen kleinen Teil des Buches ausmacht, aber doch alle wichtigen Aspekte würdigt: Kurzeinführung, Gesamtübersicht, Beschreibung aller Stadtteile und Besonderheiten, über das Leben in der Stadt, inklusive Theater, Varietee und Film, Arbeit und Geld, Bibliotheken und Zeitungen.
Diese Informationen haben den großen Vorteil: Sie können wahrscheinlich alle in einem Cthulhu-Spiel verwendet werden, OHNE dass man „nur 20er Jahre“, ohne Cthulhu-Bezug, spielt.
„Der Tanzende Faun“ nimmt etwas weniger als die Hälfe des Abenteuerteils des Buches ein. Dieses Szenario ist, zumindest im ersten Teil, sehr gut dazu geeignet erfahrene Spieler, wie auch Einsteiger, in das Setting Berlin einzuführen, indem es den Unterhaltungsaspekt, bzw. das Nachtleben der Stadt als Ausgangspunkt nimmt. Leider macht das Szenario dann zwei entscheidende, mir nicht gefallende, Wendungen: Es verlegt die Handlung aufs Land, wo man die gerade neu angelesenen Berlin-Infos gleich wieder vergessen kann, und es verwendet einmal mehr Wesen in einer Gegend wo sie einfach nicht hineinpassen (zumindest nicht wenn es nach mir geht).
Das zweite, längere Abenteuer „Jahrhundertsommer“ startet ebenfalls in Berlin, und wird auch dort enden, wenn die Charaktere alles richtig machen. Der Mittelteil führt aber leider wiederum aus Berlin heraus, und es werden neue Mythoswesen eingeführt, die dann als Bösewichte herhalten müssen (so langsam gibt es mehr Mythoswesen auf der Erde als Menschen). 
Die Abenteuer haben, wie oben aufgeführt, beide die selben Mankos, sind aber ansonsten genau dass, was man von einem guten Cthulhu-Abenteuer erwartet: Gut strukturiert, ausreichend erklärt, mit Zusatztexten versehen, und mit zeitgenössischen Photos illustriert (die dieses mal KEINE Schauspieler zeigen; siehe auch „Auf den Inseln“-Rezension).
Ein, von Mythostexten begleiteter, umfangreicher Handout-Teil, der fast zum Markenzeichen für Cthulhu geworden ist, schließt das Buch ab.
Letzten Endes ist dem Buch eine Replik einer 20er Jahre A2 Berlin-Karte beigefügt.

Berlin ist nun schon eine ganze Weile draußen, doch ich rezensiere es erst jetzt... Das hat einen Grund: „Wenn du nichts nettes zu sagen hast, dann schweige lieber.“ heißt ein altes Sprichwort.
Nicht das ich nichts nettes über „Berlin“ zu schreiben gehabt hätte, nein, aber es ist irgendwie ein zwiespältiges Produkt, welches genau das beinhaltet was ich NICHT spiele; und von dem Pegasus immer mehr veröffentlicht.

Der Berlin-Quellenteil beinhaltet genau die Informationen die während des Spiels hilfreich sein könnten, oder dazu dienen Stimmung aufzubauen, ohne zu viele Details zu erörtern (häufig bekommt man  Infos, die eventuell einem 20er Jahre Detektivspiel dienlich sein könnten, aber für den 20er Jahre Hintergrund Cthulhus schon ZU viel 20er Jahre sind; so aber nicht in diesem Buch).
Die Abenteuer sind spielfreundlich und sowohl für Einsteiger, als auch für erfahrene Spieler geeignet. An beidem eigentlich nichts auszusetzen, ABER...
Gerade das Berlin-Buch weckt in mir Gefühle die man schwer ausdrücken kann: Es fühlt sich irgendwie falsch an Cthulhu in Deutschland zu spielen. Tiefe Wesen in Hamburg? Mi-Gos im Harz? Professoren der Uni-Berlin suchen in der Bibliothek nach Mythosbüchern?
Sorry, aber das hört sich für meine Ohren und fühlt sich in meinem Herzen alles nicht richtig an!
Ich bin durch und durch ein Lovecraft-Country-Spieler; bzw. kann ich mich auch mit Weltumspannenden Plots anfreunden, aber Cthulhu-Deutschland klingt nach einem Alternativsetting zu Lovecrafts Cthulhu, aber nicht nach meinem guten, alten Cthulhu. Vielleicht liegt es daran, dass die in Deutschland spielenden literarischen Vorlagen für cthuloiden Aktivitäten fehlen?
Ich spiele Cthulhu, da mir die Geschichten und Erfindungen von Lovecraft gefallen, und die Stimmung von Lovecraft Country ist, zumindest für mich, völlig anders als die im Deutschland der 20er Jahre.
Zudem kommt noch die Tatsache, dass durch deutsche Abenteuer in deutschen Gegenden auch immer mehr besser nach Deutschland passende Mythoswesen erfunden werden. Selbstverständlich bereichere auch ich mein Spiel durch neue Kreaturen, aber in Maßen. Wenn ich die Gesamtheit der rein deutschen Publikationen angucke merke ich, dass ich inzwischen in einer nicht-lovecraftschen Gegend und mit nicht-lovecraftschen Wesen agiere. Ich entferne mich zu sehr von dem was mir an den Lovecraft Geschichten gefällt.
Durch die zahlreichen Neuveröffentlichungen über Cthulhu in Deutschland (und gerade mit der im Oktober erscheinenden Deutschland-Box im Nacken) kann ich mir gut vorstellen, dass sich Deutschland zu einem sehr gut ausgearbeitetem Spielhintergrund mausert, aber für mich ist es etwas eigenständiges und kein lovcraftsches Cthulhu mehr. Ich bleibe doch bei meinem Arkham, Innsmouth, Kingsport, Dunwich und deren Umgebungen...den Neu-Englandstaaten und Weltumspannenden Kampagnen. Und ich würde es sehr begrüßen, wenn die Lovecraft-County Settings auch ins deutsche übersetzt werden würden, aber manchmal habe ich den Eindruck, dass ich der Einzige bin, der diese Lovecraft Settings vermisst.

Wer mit den Setting Deutschland für Cthulhu gut leben kann, kann aber getrost zum Berlin-Buch greifen, welches ihm die Wartezeit auf weitere Regionalbücher und die Deutschland-Box schon einmal versüßen sollte.


Berlin – Im Herzen der grossen Stadt
von Wolfgang Schiemichen, Nathanael Busch, Jakob Schmidt und Jan Christoph Steines
Pegasus Press; 2002
192 Seiten; Farbkarte; € 29.80 (bei
Pegasus)