Dementophobia - Wahn und geistiger Verfall
Rezension von Karsten Sassenberg

Nun ist der vierte Quellenband für CTHULHU erschienen, in gewohnt gelungener Aufmachung. Der Titel des Hardcovers zeigt eine gelungene Collage, ein bleiches Gesicht starrt dem Betrachter entgegen. Dieser Band sticht schon mit der großzügigen Verwendung weißer Farbe auf Vor- und Rückseite aus dem bisherigen optischen Rahmen.
Auch inhaltlich tanzt er aus der Reihe, denn im Gegensatz zu seinen drei Vorgängern „Malleus Monstrorum“, „Necronomicon“ und „Arcana Cthuliana“ beinhaltet „Dementophobia“ 3 Szenarien. Dies bedeutet ja anscheinend weniger Quellenmaterial, da ja alle Bände bisher 200+ Seiten Umfang hatten. Hier endet der Quellenteil nach 124 Seiten. Seite 125 bis Seite 235 nehmen die Szenarien ein.
Inhaltlich bietet der Quellenteil folgendes: „Der große Überblick“ behandelt den Wahnsinn im Wandel der Zeit. Also von der Antike und verschiedenen Kulturen bis 1938. Moment mal, nur bis 1938? Und was ist mit der Gegenwart, also NOW? Offensichtlich erschien der PEGASUS-Redaktion der Abschnitt über Wahnsinn und psychiatrische Behandlung im „CTHULHU NOW“-Buch ausreichend. Vorweg genommen: Auch die drei Abenteuer spielen alle in den Zwanziger Jahren. Dem Überblick folgt ein Artikel über Syphilis, sowie einige Vorschläge, wie man den geistigen Verfall im Rollenspiel handhaben kann. Diese Vorschläge ermuntern zum Experimentieren und zu kreativen Ansätzen, so dass die psychischen Folgen der Ereignisse im Spiel dieses beleben statt zu behindern und nicht zu Stereotypen verkommen. Abgeschlossen wird dies mit einer kurzen Vorstellung von 60 Filmen, welche sich in irgendeiner Form mit Wahnsinn und geistigen Verfall befassen. Dabei wird erwähnt, dass dies nur eine Auswahl darstellt und keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Zu jedem Film werden deutscher Titel, Originaltitel, Herstellungsland, Regisseur und Laufzeit angegeben. Der Inhalt wird mit 1 oder zwei kurzen Sätzen wiedergegeben. Diese 4 Seiten empfinde ich als überflüssig. Eine solche Liste hätte zum Download, im Forum oder im Anhang ebenso gereicht. Es folgt dann „geistige Störungen im Spiel“, wo zur Einleitung noch einmal die verschiedenen Artender Traumata im Spiel rekapituliert werden. Dann folgt eine sieben Seiten umfassende Tabelle, in der die typischen Rollenspiel-Ereignisse aufgelistet werden, welche zu einem Trauma führen können, zum Beispiel der Anblick einer Leiche, und je nach Schwere des Traumas werden dort psychische Schäden aufgelistet. Dies soll den Einsatz der bisherigen Zufallstabellen aus dem Regelwerk vermeiden, da diese ja oft zu unpassenden Ergebnissen führten. Sehr brauchbar, aber ich würde nicht dem Vorschlag folgen, diese Übersicht während des Spieles zu konsultieren. Das Nachschlagen einer Tabelle in einem dramatischen Moment wird ja zurecht im „Spielleiter“-Handbuch als Atmosphäre störend abgeraten. Aber für Spieler wie auch Spielleiter vor oder nach einer Spielsitzung sehr gut brauchbar. Dann folgt das Herzstück des Quellenbandes, eine Beschreibung der Geisteskrankheiten und Tipps, wie diese Krankheiten im Spiel dargestellt bzw. eingebracht werden können. Dann folgt der Artikel „Zwölf Dutzend Ängste“, also 12 Tabellen mit je 12 Phobien nach Kategorien sortiert. Für den Einsatz dieser Tabelle wird sogar der W12 vorgeschlagen und der Hinweis gegeben, dass man diesen auch im Rollenspielladen käuflich erwerben kann, da dieser ja sonst bei CTHULHU keine Verwendung findet. Damit werden 4 Seiten gefüllt, mit Tabellen, die wohl kaum jemand braucht. Wenn das witzig gemeint ist, hat sich mir der Humor nicht erschlossen.
Es folgt eine interessante Abhandlung über Besessenheit (hier wird auch der Exorzismus als Fertigkeit vorgestellt) und religiösen Wahn.
Da nun ja die Krankheiten vorgestellt wurden, folgt die Heilung. Es werden die Gesundheitssysteme im Deutschen Reich, den USA und Großbritannien vorgestellt sowie der Beruf des Irrenpflegers. Leider auch hier keine Angaben zur Gegenwart. Es folgen Ausführliche Darstellungen über die Psychotherapie, die verschiedenen Heilmethoden im Spiel mit jeweiligen Prozentangaben zum Feststellen der Heilauswirkungen bzw. die Auswirkungen von Misserfolgen. Dem folgt ein Artikel über Anstalten, denn irgendwann landet ja jede Runde einmal dort. Sei es, um einen Mitstreiter dort abzuliefern, oder um einen Insassen zu befragen. Schön gemacht, da hierzu jeweils 8 verschiedene Anstalten vorgestellt werden. Von „Hervorragend“ bis zum „Höllenloch“, dem kaum ein Patient entrinnt, ist alles dabei. Dazu haben viele ihre kleinen Geheimnisse, welche sich als Aufhänger für eigene Szenarien förmlich anbieten. Alle Anstalten sind mit Prozentangaben versehen, so dass der Spielleiter schnell auswürfeln kann, ob es während des Aufenthaltes zu Komplikationen bzw. Heilerfolgen kommt.
Nun folgen die Szenarien. „Das verlorene Gestern“ besticht durch seinen sehr interessanten Aufbau, der die Spieler lange im Ungewissen lässt, was geschehen ist. Das Szenario beginnt in einer Nervenheilanstalt, ohne dass die Charaktere sich erinnern können, wie sie dorthin kamen. „In Scherben“ ist ein One-Shot mit vorgegeben Charakteren. Es spielt 1923 in München, und ein reicher Industrieller liegt im Sterben. Die SC sind alle anwesend, weil sie dem Sterbenden viel zu verdanken haben. Doch die Ereignisse, bis das Testament eröffnet wird treiben die SC immer mehr in den Wahnsinn. Ein ungewöhnliches Abenteuer, da es für ein One-Shot ungewöhnlich komplex ist. Die chaotischen Ereignisse in München (z.B. Hitlerputsch) wie auch die Beziehungen der Charaktere halten die Spieler mächtig auf Trab. Da es aber so detailliert ist, stellt es allerhöchste Ansprüche an den Spielleiter wie auch die Spieler. Daher hat es auch eine hohe Spieldauer, an einem oder zwei Abenden ist es bestimmt nicht zu bewältigen. Weniger erfahrene Spieler sollten das Abenteuer erst einmal zurückstellen, da es sonst in Frust enden könnte. Für diese bietet sich „Das Sanatorium“ von Keith Herber an. Ein Klassiker, und das zurecht. Die Spieler besuchen Dr. Brewer, welcher auf einer abgelegenen Insel ein Sanatorium betreibt. Dort angekommen, finden sie nicht alles so vor, wie sie es erwartet haben. Äußerst stimmungsvoll, dazu recht einfach zu leiten, was möchte man mehr.

Alles in allem ist „Dementophobia“ kein schlechter Band, bleibt aber für meinen Geschmack hinter den Erwartungen zurück. Alle Quellenbände waren bisher universell für alle Settings gedacht und trugen dem auch mit ihren verschiedenen Fundstücken etc. quer aus alle Zeitepochen Rechnung. Man hätte doch auf das „NOW“-Setting eingehen können und das Quellenmaterial aus dem „Now“-Buch vertiefen können. Warum nicht auch Hinweise auf die Gesundheitssysteme der Gegenwart? Oder die Entwicklung der Behandlungsmethoden von 1940 bis zur Gegenwart? Im Gegensatz zu seinen drei Vorgängern ist dieser Band nicht mehr so universell für alle Settings zu gebrauchen. Eher ist es ein Quellenbuch für die Zwanziger. Auch will der Funke insgesamt nicht so überspringen wie bei den Vorgängern, auch wenn hier interessante NSCs (historische Persönlichkeiten mit Werten für das Spiel aufbereitet) und Abenteuervorschläge über den gesamten Text verteilt wurden. Er liest sich schon etwas trocken und weniger inspirierend als seine Vorgänger.


Dementophobia - Wahn und geistiger Verfall
von Diversen
Pegasus Press; 2007
236 Seiten Hardcover; € 29,95 (bei
Pegasus)