Festival obscure
Rezension von Karsten Sassenberg

Bereits im Dezember ist der neueste Streich von Pegasus für das Cthulhu-Rollenspiel erschienen. Das Titelbild des dunkelroten Covers zeigt eine verschwommene Collage eines altmodischen, beleuchteten Karussells und einer unscharfen Budengasse. Das Buch ist ein "Themenband", in der Art wie der zuvor erschienene Band "Geisterschiffe". Im vorliegenden 176 Seiten starken Werk stehen nun Volksfeste aller Art im Mittelpunkt, und zwar ist für das 1920er Setting. Es steht also nicht allein der "Krammarkt" mit seinen Zuckerwattenbuden und Fahrgeschäften im Fokus des Interesses. Der einleitende Quellenteil erläutert die historischen Wurzeln solcher Veranstaltungen und stellt einige berühmte ausführlich vor, z.B. das Münchener Oktoberfest, Hamburger Dom (und wie er zu seinem Namen kam), aber auch den Kölner Karneval. Daneben geht er auch auf lokale "Highlights" ein, wie sie jeder kennt, z.B. das Schützenfest, Kirchweihe etc. Daran schließt ein Artikel an, welcher das Leben und den Alltag der Schausteller von damals beschreibt, inklusive der Fertigkeiten für einen Schausteller-Charakter im Rollenspiel. Der Quellenteil wird nun mit einer umfangreichen Beschreibung eines Jahrmarktes beschlossen. Dieser umfasst von einem Übersichtsplan des Rummelplatzes über die genaue Beschreibung der einzelnen Attraktionen bis hin zu den Spielwerten für Dutzende von SCs alles, was das Spielleiterherz begehrt! Dieser Quellenteil ist sowohl als Setting für eigene Geschichten zu gebrauchen als auch als generische Kulisse, wenn der Spielleiter den Besuch seiner Gruppe auf einem Rummelplatz improvisieren möchte. Selbstverständlich haben die Autoren viele interessante "Geheimnisse" in die Beschreibungen der SC gepackt, um diese möglichst vielschichtig darstellen zu können. Vom Achterbahnbesitzer über den Tanzbärendompteur bis zum Messerwerfer ist alles und noch viel mehr zu finden. Dieser Quellenteil ist somit viel umfangreicher als der recht dürftige im "Geisterschiffe"-Band und macht es jedem Spielleiter, welcher Cthulhu-Abenteuer an solchen Orten mit ganz speziellem Flair inszenieren möchte, wirklich spielend leicht!

3 Abenteuer hat der Band dann noch im Angebot:

"Eine Frage der Perspektive" führt deutsche Charaktere nach Danzig. Da diese Stadt zum Zeitpunkt des Abenteuers als "freie Stadt" gilt, also keiner Nation zugehörig, erläutert ein kleiner Artikel, wie es dazu kam und welche Auswirkungen dies im Spiel haben kann. Dazu gibt es eine Kopie eines Stadtplanes. Die Geschichte selbst beginnt für die SC schon mit der Anreise nach Danzig per Zug, denn ein Reisender benimmt sich sehr auffällig. Einige Zeit nach der Ankunft in Danzig wird dieser ermordet aufgefunden, und somit bleibt es (natürlich) an den SC, den Mörder ausfindig zu machen. Die Spur führt zu einem Jahrmarkt, und dort werden die Spieler dann hoffentlich einen Gelehrten als Verantwortlichen ausfindig machen, der seine seltsamen Forschungsarbeiten mit ungewöhnlichen Methoden betreibt. Eventuell ist ja doch alles nur eine "Frage der Perspektive". Das Abenteuer basiert auf einer originellen Idee, konnte mich aber insgesamt nicht wirklich überzeugen. Die Motivation der SC, sich wirklich um den Ermordeten zu kümmern, scheint mir kaum gegeben. Auch glaube ich, dass ist es gar nicht so leicht ist, die Spieler so durch das Abenteuer zu moderieren, dass sie nicht zu schnell auf den "Verdächtigen" kommen bzw. einfach nicht vorwärts kommen, und dann sehr subtil in die Richtung bewegt werden müssen. Und die später stattfindende "Reise" (ich möchte nicht zuviel verraten) ist wirklich eine originelle Idee, aber nicht leicht in ein gutes Spiel umzusetzen. Dieses Abenteuer richtet sich eindeutig an erfahrene Spielleiter und Spieler.

"Das doppelte Lottchen" spielt in England. Die SC gewinnen bei einem Preisausschreiben eines Zirkus', der seine Zelte im kleinen Londoner Vorort New Malden aufgeschlagen hat. Die SC dürfen einen ganzen Tag mit den Zirkusleuten verbringen, ihnen bei ihren alltäglichen Arbeiten zusehen und die Vorbereitungen für die Premiere am nächsten Tag miterleben. Am Tag der Premiere, als die SC auf der Tribüne für Ehrengäste sitzen, geschieht dann etwas Seltsames. Die Seiltänzerin, ein junges Mädchen, weicht während ihres Auftrittes auf dem Seil zurück und stürzt herunter. Sie trägt zwar ein Sicherheitsseil, welches verhindert, dass sie auf den Boden aufschlägt. Aber sie befindet sich in einer seltsamen Starre. In der Nacht benehmen sich die Zirkustiere unruhig, und schon bald haben nicht nur die Zirkusleute, sondern auch die SC das Gefühl, dass "Etwas" umgeht und sie alle beobachtet. Das Finale der Geschichte spielt in einer der berühmtesten Attraktionen von London. Ein tolles Szenario mit großem detektivischen Anteil und mehr als nur den üblichen Verdächtigen.

"Der lachende Mann" spielt wieder in Deutschland, in der Kleinstadt Parchim. Die SC sind dort bei einer befreundeten Familie zu Besuch, und mit diesen geht es samt Kindern auf den Martinimarkt. Es wird ein vergnüglicher Abend, aber in der Nacht können die SC (hoffentlich) in letzter Sekunde verhindern, dass die Kinder nicht ihre eigenen Eltern mit langen Küchemessern ermorden! Was sind das für seltsame Masken, die sie sich während der Tat vor ihre Gesichter gehalten haben? Wurden diese wirklich auf dem Jahrmarkt an die Kinder verteilt? Und es war nicht der einzige Vorfall dieser Art. Die SC begeben sich auf die Spuren eines Mannes, der auf sehr tragische Art Handlanger cthuluider Mächte wurde. Es droht eine Nacht des Grauens, in welcher der ganze Ort in Gefahr geraten kann, und nur die SC können dies noch verhindern. Ein sehr atmosphärisches Abenteuer, welches diesen Band beschließt.

Fazit: Wer Cthulhu auf Volksfesten und ähnlichen Veranstaltungen spielen möchte, kommt hier voll auf seine Kosten. 3 Abenteuer und ein wirklich gelungener Quellenteil sollten jedem Lust machen, einmal dunkle Geheimnisse zwischen lärmenden Karussells, Bratwurstbuden und brüllenden Schaustellern zu ergründen. Und wer bisher dachte, dies würde sich nicht so recht vertragen, kann sich hier eines besseren belehren lassen. Ich selbst zähle mich dazu, denn dieses Thema fand ich bis jetzt langweilig.


Festival obscure
von Diversen
Pegasus Press; 2005
176 Seiten; Hardcover; € 24,95 (bei
Pegasus)