Morden verteidigt das Lager

Ein Auszug aus der unveröffentlichten „Harmast Saga“ von Greg Stafford
Übersetzung von Stefan Drawert

Das Bewaffnungsgedicht
Vargast bereitete sich darauf vor, das Lager zu verteidigen.
Jedoch konnte er, der Häuptling, nicht an der Spitze stehen, so dass Vargast seinen zuverlässigen und erfahrenen Stammesangehörigen dazu bestimmt hatte.

Als Morden Vargast von den heran nahenden Orgovalten berichtete, hatte der Häuptling sofort Morden zum Hauptverteidiger ernannt. Er war dafür geeignet, hauptsächlich weil er im Heldenformen seines Vorfahren so erfahren war.
Als Vargast ihn zum Champion ernannte, wurde Morden auch mit großer Macht gesegnet, die ihm außergewöhnliche magische Vorbereitungen ermöglichte und, sollte er scheitern, jedem Mitglied seines Clans exakt die selben Wunden zufügen würde wie ihm selbst. Er würde mit Hilfe der Priester Orlanths Segen für den Clan erhalten und sich so mächtig machen, daß die Feinde gewungen sein würden, sich auf ihn zu konzentrieren.

Alle Orlanthizeremonien folgten den selben Prinzipien.
Jeder Ritus war eine Art Wiederaufführung göttlicher oder heldenhafter Taten. Insofern richtig sie richtig vollzogen wurde, würde die Zeremonie die magischen Auswirkungen hervor bringen, welche die ursprüngliche Tat gezeitigt hatte. Auf diese Art wurden erfolgreiche Taten erinnert, nachgeahmt und verfeinert, und die Götter und Helden kehrten auf die Welt zurück.

Morden hatte Glück, denn er kannte eine mächtige Zeremonie des Heldenformens, und war damit in der Lage, das Heldenformen viel schneller zu vollziehen als die meisten normalen Männer. Zu guter Letzt, um sich noch besser zu schützen, wählte Morden Brekuns Schildkampf. Brekun war Mordens Ahn, und Verwandtschaft mit dem Objekt der Anbetung half stets die Verbindung zu stärken. Noch wichtiger war, daß Morden Brekuns Gottestaten seit vielen Jahren praktizierte. Er würde sich nicht gänzlich auf die Magie verlassen müssen, die er von seinem Urahn erhalten würde – so etwas wäre eine törichte Abhängigkeit oder eine wahre Verzweiflungstat.
So konnte Morden seinen klingenbewehrten Schild mit großem Talent schleudern, und der magische Schwung würde eher verstärkend denn ursächlich wirken und dadurch noch mächtiger sein.

Der Verlauf der Anrufung von Brekuns Kräften, und das Eins werden mit Morden vollzog sich ohne Schwierigkeiten, wie jedes gewöhnliche Ritual.

Morden sang die einfachen Verse, die Brekun erst in sein Bewußtsein und dann in seine Seele rufen, und schließlich seinen Körper mit Brekun teilen lassen würden.
Währenddessen beteten die Priester zu Orlanth, und mit ihrer Anbetung wandelten sie die gewöhnliche Luft die sie atmeten in die Substanz, welche Orlanth ist.

Für Morden, den Grund all dieser Rituale, begann die Welt eine Beschaffenheit  anzunehmen, die er sonst nur von den Heiligen Tagen her kannte. Farben klärten sich zu schierer Helligkeit auf. Gewöhnliche Dinge verschwanden, so dass kunstfertige Dekorationen verblassten; unbedeutende Details waren nicht mehr vorhanden, so dass eine Rüstung aussah wie die andere. Die magischen Verzauberungen hingegen traten in den Vordergrund, so wie helle Insekten bei Sonnenuntergang aufsteigen, und Morden konnte ein magisches Schwert sogar noch in der Scheide steckend erkennen. Die Geister, die Morden normalerweise nur spüren konnte wuchsen jetzt ins Sichtbare.

Dandern, der Sprecher, und Engorn, der Erzähler, verrichteten ihren Teil mit ernster und kalter Effizienz. Sie brachten die Kräfte der Wissenden Gottes und des Sprechenden Gottes zu sich herab und nach Außen hin wurden Erinnerung und Laute der Beiden anders, besonders; auf dieselbe Art, wie die Sturmpriester die Beschaffenheit der Luft veränderten.

Dandern und Engorn erzählten gemeinsam die Geschichte des Helden Brekun. Sie erzählten sie auf die geheime Art und Weise, und so erzählten sie Teile welche nicht auf gewöhnliche Art erzählt werden konnten, und sie ließen Teile aus, die für die Magie nicht von Belang waren. Und somit lösten sie die gewaltigen magischen Energien aus, die Brekun geholfen hatten, und brachten sie für die bevorstehende Schlacht auch zu Morden.
In der heiligen Wiedererzählung erlangte Morden das Höchste: Er nahm die Ausstattung und das Verderben Brekuns auf und an sich. Alle anderen würden den Schutz und die grimmigen Mordtalente erlangen, mit denen sie sich in der Geschichte identifizieren konnten.

Brekuns Geschichte war weder schwer noch lang, und ihr Ruhm lag in der Bewaffnung des Helden. Das Bewaffnungsgedicht stattete ihn mit dem üblichen edlen Speer, königlichen Schwert aus, in der Lage zu schneiden, sei’s losgelassen, springend oder singend. Und zum Schluss, besonders wichtig, die Schilde: Randschild, Speerschild, gebundener Schild und Flugschild. Das Gedicht beschrieb, wie er seine Waffen zusammen sammelte und schärfte.
Morden schärfte rituell seine Waffen wie es Brekun getan hatte, wenngleich jede Klinge bereits blattdünn geschliffen war. Er überprüfte die Schäfte seiner Speere, untersuchte seine längst bereite Rüstung nach Löchern und zählte sorgsam seine Wurfspeere im Köcher.

Er zählte seine Zeichen, er liebkoste seine Amulette, die ihm ein Teil seines Gottes waren. Hier ist Rabe, schwarzer Stein, glatt poliert, eingetaucht in Blut. Hier ist Kara, weißer Quader, und der Jara, weißer Ball aus Holz, beide gegen Wunden. An den rechten Ärmel geheftet war Durox, ein Bullenknochen, mit Runen, ihn vor dem Chaos zu warnen.

Mit Ehrfurcht wurde jeder Glücksbringer und jedes Amulett geprüft, um sicher zu gehen, daß jeder Riemen und jeder Beutel verschnürt und sicher war, und um zu danken, für daß was sie jeweils tun würden.

Brekun rief dann nach seinem Weib, nicht nach seinem Schildjungen. Erst schnürte sie ihm seine Beinschienen an, und machte sie fest mit starken Riemen. Sie warf über seine Schultern ein Hemd aus feinem Leinen, ärmellos, um die Male stolz zu zeigen, und darüber...

Und so weiter und so weiter. Kein Frauen waren anwesend, außer denen, die kämpften, und die Männer halfen sich gegenseitig, überprüften jedes Rüstungsgelenk und jeden Knoten, jeden Gurt.

Und so ging es weiter, bis er sich schließlich seinen bescheidenen Mantel überwarf, blau war er, mit silbernen Rändern.
Die Priester gaben jedes Wort des Helden weiter, ließen so die Männer hören, was sie hören mussten. Die Priester waren betrübt als sie Morden, an die Liebe denkend, die Tränen kommen ließen, aber Brekun hatte es so getan, und es wäre gefährlich unter diesen Umständen ein scheinbar schwächendes Element der Geschichte auszusparen.

Und so verging die Nacht mit der Vorbereitung auf das Verderben. Ein oder zwei Täler entfernt würde Mordens Gegner dasselbe tun.

Mit der Morgendämmerung kamen die Feinde, allesamt tapfere Männer. Pfeile pfiffen, Steine krachten, Feuer entzündete sich und kam über den Feind. Nur die tapfersten kamen vorwärts.

Alleine dann, gegen acht auf einmal wehrte Brekun tödliche Wurfpfeile und Speere ab; mit dem Witwengeheul sandte er die Geschosse zurück gegen den verhaßten Feind.

Brekun, der grimmige Träger des gedeihenden Schwertes, ward an diesem Tag von keiner bronzenen Klinge berührt.
Seine Schläge regneten auf Schwerter, Speerschäfte und Helme herab, und mit seinem viereckigen Schildschlug er die Lanzen der Mächtigen nieder.

Gesegnet durch das Gebot von Orlanth und Humakt, riß er den Ruhm von Stad herab und zerschmetterte den gebundenen Schild des Verteidigers.

Gesegnet durch das Gebot von Ernalda, riß er den Ruhm des Melifas herab und schlitzte ihm mit dem Randschild die Kehle auf.

Brekun wog die Künste des Krieges ab und ließ sich von den Händen seiner Frau den durchbohrenden Schild reichen und leiß seinen Feind, den Feldherrn, erzittern.

Brekun sprach:“ Wer wagt es, mir mit schweren Angriff zu trotzen? Der Sold für solches Unterfangen beträgt einen Kopftaler. Meine Börse ist noch längst nicht gefüllt. Stad und Syrik, Makkor und Melifas, Agnakor und Arntokar waren nur Pfennige. Schickt mir nun das Goldstück, den Anführer, der mich verleumdet hat.“

„Dort steht Brekun, inmitten roter Dämpfe, die sich heiß erheben von den Pfützen tropfenden menschlichen Blutes. Er wird nicht enden, bis dass die Blutsee trocken ist. Er wird nicht weichen, bis dass der morgige Hahn sein Krähen beendet hat.“

Der Große Mann
„Hakorlat und Morandor,“ sagte der Fürst, “würdet ihr bitte gehen und nachsehen, was dieser Fremde dort von uns will?“ Die zwei Männer gaben ihren Pferden die Sporen und ritten ohne ein Wort schnell dem Feind entgegen.

Morden, immer noch stehend, zog sein Schwert und wartete. Die Männer kamen mit unverminderter Geschwindigkeit heran und er konnte ihre Magie in Licht des frühen Morgens funkeln sehen. Er blinzelte, so wie er es zu dieser frühen Stunde machen musste, und konnte ihr zusammen gebissenen Zähne und den bestimmt - verengten Blick der Krieger sehen, als ihre Blicke sich trafen.

Morden, wie einst auch Brekun, schrie das Witwengeheul, und jedes kleine Tier in Reichweite fiel tot hernieder. Das Witwengeheul war nichts Unbekanntes für die Orgovaltenkrieger, und Harkalot hatte es selbst desöfteren benutzt. Die Krieger hielten ihre Zügel stramm und ritten fest weiter.

Aber was Morden tat, auf Vargasts Rat hin, war einen Teil seiner wirklichen Seele in den Schrei zu legen. Morden sollte an die Person denken, die ihn am meisten liebte, so sagte Vargast, und diesen Schmerz den Schrei antreiben lassen. Doch das war nicht genug, sagte Vargast. Morden müsse auch den Gram fühlen, den sein Weib fühlen würde, und dies ebenfalls in die Stärke und Macht des Schreis legen. Morden tat wie geheißen, und lernte, dass Brekun zwei Tränen vergossen hatte, als er an seine Frau gedacht hatte.

Der Schrei brach über den beiden Reitern zusammen wie eine kleine Mauer, doch sie waren zu gut vorbereitet, um dadurch kampfunfähig gemacht worden zu sein. Es war stärker als erwartet, was andererseits auch keinen Unterschied hätte machen sollen, aber beide Männer gerieten in Rage, weil der Schrei sie überrascht hatte, und so trieben sie ihre Pferde noch stärker an, einer eine Lanze ergreifen, der andere einen Wurfspeer.

Morden grinste, und sie sahen es sogar auf die Entfernung, und das machte sie noch ärgerlicher. Sie vergaßen, dass sie normalerweise nicht so ärgerlich wurden. Sie duchbohrten ihre Rösser mit ihren Sporen. Morden nahm sechs Wurfpfeile in die Hand, jeder allerdings 15 Zentimeter lang, geformt wie ein kleiner Pfeil, mit einem Bleigewicht in der Spitze. In Wurfweite gekommen, warfen Morden und Morandor ihre Waffen, und je sechs Geschosse entsprangen ihren Händen. Sechs Geschosse  trafen Morden und er stolperte unter dem Aufprall, und wurde beinah von den Füssen gerissen. Aber keiner der Wurfspeere hatte seine Rüstung durchschlagen.
Er erlangte das Gleichgewicht zurück, bereit mit seinem gezogenen Schwert zuzustechen, brauchte es aber nicht.
Seine Wurfpfeile, noch kräftiger geworfen als gewöhnlich, waren ganz durch seine Gegner und ihre Pferde gegangen, und so lagen alle vier blutigen Körper zuckend auf dem Hügel unter ihm.

Morden heulte, und sprang den Abhang herab. Sein Schwert glänzte so hell, dass es vom anderen Hügel aus zu sehen war, dort wo der Fürst das Geschehen beobachtete. Er sah die Bronzeklinge zweimal niedergehen, und zweimal erhob sich der Fremde mit dem Kopf eines Feindes in der Hand. Dann warf der Fremde die Köpfe in die Luft, und sein Schwert ebenfalls, und die Köpfe wurden in Stücke geschnitten. Sogar auf die Entfernung sah der Fürst, dass sie perfekt gevierteilt waren. Das Schwert fiel wieder in die Hand des Kriegers herab, und der Fürst sah, wie der Fremde ihn grimmig anlächelte.

Ein wirbelnder Wind kam auf. Der rasche Auftrieb blies über die blutigen Leichen. Morden und der Fürst hörten daraufhin Gesang, als die Seelen der Krieger auf den Winden reitend ihre lange Reise zu Orlanths Halle begannen. Um den Fürsten herum waren seine Krieger aufgebracht weil sie die Musik nicht hörten, aber etwas unheimliches spürten, was sie verstörte.

„Er ist anscheinend kein Schwindler“, sagte der Fürst zu seinen Gefährten.

Einige Tage harten Rittes waren für Fürst Kerandal, Sohn von König Keranlaka, und sein Gefolge keine Klage wert. Sie waren zum Kampf gekommen und die Erregung des Tötens oder Sterbens wuchs nur mit jeder verstreichenden Stunde. Als sie Morden sahen, brauchten sie keine besonderen Gaben, um zu sehen, dass ein Krieger, gerüstet für große Taten, auf sie wartete.

Sie zogen ihren Karren und die Ponies auf die rückwärtige Hügelseite, fast eine halbe Meile entfernt, was weit jenseits üblicher Angriffsreichweiten lag. Selbst ein Geist, der schneller als die Winde streifen konnte, würde normalerweise in der Zeit, die er zur Überbrückung der Strecke brauchen würde sichtbar werden.
Der Fürst, mittlerweile vor eigener Magie funkelnd, fürchtete solche Kleinigkeiten nicht.

„Kennt ihr den Mann?“, fragte er seinen Speermann. Sein Speermann sprang senkrecht in die Luft und stand auf seinem Sattel, und konnte den wartenden Krieger sehen, als würden die beiden Männer sich direkt gegenüber stehen.

„Er ist vom Laurelclan, und war ein Hausthane eines Häuptlings der Liornvuli. Sieben Zauber, wenn nicht mehr, tanzen auf seinen Armen. Sein Mantel ist von einer magischen Frau, die inmitten von Dornen lebt, und seine Halskette verhindert, dass er müde wird. Er trägt seine besten Sachen, doch sind sie so schäbig, dass ich sie nicht beschreiben mag.“

Die meisten Männer lachten über diese beleidigende Bemerkung, bezüglich der Armut des Kriegers, waren sie doch alle gut gekleidet in grüne und blaue Mäntel, mit Fellbesatz und Waffenröcke aus feinem Leinen. Sie hatten Gold von ihrem Herrn an ihren Armen und sie alle waren erfahrene Krieger, wissend um die Wege des Kämpfers bei den Sturmgöttern.

„Guter Herr“, sagte eine volle Stimme mit Akzent, „Darf ich mich des Fremden zuerst annehmen?“ Der Sprecher, ein geckenhafter Fremder, der eine Adlige ehelichen wollte, trug weder Schwert noch Schild.

„Arkarthan, kein Zweifel, dass du ihm das Schwert aus den Händen stehlen könntest. Aber dies ist eine Angelegenheit für Krieger, von Mann zu Mann.“

„In meiner Heimat betrachten wir Weisheit als eine Tugend.“

„Und Frechheit“, sagte der Fürst. Aber er sagte es freundlich, so dass all seine Gefährten wieder lachten. Obwohl Arkarthan ein Fremder war, wurde er gern gemocht. „Nordländer, der ein Bruder sein möchte,“ fuhr Kerandal fort, „ich erwies mich als weise, als ich Euch nicht tötete. Nun aber werden wir eine Aufgabe für Krieger auf die Art der Krieger lösen.“

Die Gefährten des Fürsten nickten alle zustimmend, begierig zu kämpfen.
Sie waren erfahren. Sie wussten die gesegneten, heiligen und magischen Artefakte zu schätzen, die Arkarthan für sie gestohlen hatte, aber sie waren nicht von ihnen abhängig. Doch es brauchte mehr als ein magisches Schwert um einen Helden zu bekämpfen und dieser verarmte Fremdling war nicht der erste vorbereitete Held, dem sie gegenüber standen. Fürst Kerandal hatte natürlich mehrere Leute, die solch einer Bedrohung antworten könnten.

Der Fürst drehte sich einem seiner Männer zu, dessen Name Namar war und sagte, „Ihr seid ein Geweihter des Großen Mannes, oder etwa nicht?“

„Ja, das bin ich. Ich werde ihn zerstampfen.“

Der Große Mann war in Zentralgenertela recht bekannt. Er hatte vor sechshundert Jahren gelebt, in der Silberära, als die Welt langsam ihren Weg aus der Finsternis und der Zerstörung herausfand. Der Große Mann war in dieser Gegend weit herum gekommen und hatte seine große Stärke benutzt, um Dinge zu machen, Leuten zu helfen und im Allgemeinen die Welt zu verbessern.

Der Große Mann hatte eine besondere Fähigkeit. Er besaß unglaubliche Stärke, und war in der Lage einen Kriegswagen zu heben, mitsamt Panzerung, Speeren und Klingen, und sogar dem Paar Pferde, den Fahrer und den tapferen Kriegern darin.
In seinem ganzen Leben schaffte es der Große Mann nahezu alles im ersten Versuch hoch zu heben. Zugegebenermaßen benutzte er manchmal auch beide Arme, oder gar die Kraft seiner Beine.

Nichtsdestotrotz versagte er manchmal. Bei solch seltenen Gelegenheiten, wenn er vergebens versuchte etwas zu heben oder zu werfen, kam die große Macht des Großen Mannes zum Tragen. Dann wurde er größer, wie eine aufpumpte Blase, oder wie ein Laib Brot, der aufgeht. Dann, größer und stärker, würde er einen zweiten Versuch starten. Dieser Versuch gelang ihm nahezu jedesmal, ganz gleich ob er eine Galeere auf ein Plateau werfen, oder einen Teil der Stadtmauer von Nochet niederreißen wollte. Nur etwa zehn Mal in seinem Leben brauchte der Große Mann je einen dritten Versuch, um etwas hoch zu heben, und in solchen Momente blies er sich noch größer auf. Vier Mal in seinem Leben benötigte der Große Mann vier Versuche, um erfolgreich zu sein. Dies waren, als er den Triton unter Wasser hielt; als er dem Drachen das Genick brach; als Orlanth versuchte, ihn himmelwärts zu heben; und als der Berg auf ihn nieder fiel.

Nur einmal musste er fünfmal so groß werden.

Der Große Mann war kein Kämpfer. Zu seiner Zeit lebten weit größere Krieger, die bereitwillig die Risiken bei der Bekämpfung von Monstern oder ihresgleichen auf zu nahmen. Nichtsdestotrotz war das graue Vordämmerungslicht der Silberära voller Gefahren, und der Große Mann rang, warf und zerbrach seinen Anteil an Bestien und Plünderern. Obgleich der Große Mann stets unbewaffnet war, gibt es viele Erzählungen, die von ihm Fels-, Baum-, oder Häuserwerfend berichten, so seine Feinde tötend.

Der Große Mann hielt eigentlich nichts vom Nahkampf, und besonders missfiel ihm der Kampf gegen andere Menschen. Er benutzte seine gewaltige Stärke mehrere Male, um diejenigen zu überwältigen, die ihn anderenfalls bekämpft hätten.
Von ihm sagte man sogar, dass er nur mit den Füssen aufstampfte und so den Erdboden auseinander brechen ließ, um dann fort zu laufen, anstatt jemanden zu schlagen.

Aber das eine Mal, als er seine fünffache Stärke brauchte, war in einem Kampf, von Angesicht zu Angesicht, gegen einen anderen Menschen.
Der Große Mann kämpfte damals gegen Jeri Babo, und gewann diesen Kampf, als er mit seinen Eisen besohlten Stiefeln auf seinen Gegner stampfte, und ihn zerquetschte, wie ein Mann eine Maus zerquetschen würde.

Morden hatte geduldig gewartet. Er sah den großen Felsen von der entlegenen Seite des gegenüber liegenden Hügels in die Luft empor steigen. Da der Fürst, der nach hinten schaute, nicht vor dem Sturzflug des Findlings zurück wich, war Morden ebenfalls nicht beunruhigt. „Es ist ein starker Mann, der so etwas tun kann“, dachte er bei sich.

Morden sah einen wahrhaft großen Mann über die Hügelkuppe kommen. Er trug eine rote Schärpe um seinen Kopf und keine Rüstung. Er hatte einfache Bauernkleidung an, hielt den Hammer eines Steinmetz‘ in Händen und trug klobige Stiefel.

„Ah“, dachte Morden, „ nicht nur ein starker, sonder ein Großer Mann.“ Morden bewegte sich nicht, als er Große Mann innehielt und den Wagen mitsamt seinem Herrn hochhob, und die Pferde wieherten und traten in ihrem Geschirr hängend aus. Er setzte sie wieder ab, nicht sonderlich sanft, und lachte sehr laut. Eine Schar Raben, die gerade auf Nahrungssuche vorüber flogen, fiel vom Gelächter benommen aus der Luft herab.

Der Große Mann stellte seinen Hammer neben dem Wagen seines Herrn ab. Der Große Mann missbrauchte niemals sein Werkzeug, und da er offensichtlich keinen Stein bearbeiten würde, ließ er ihn zurück. Er schlenderte quer durch das Tal, auf Morden zu, der ruhig wartete, die Waffen noch nicht gezogen.

„He du,“ sagte der Große Mann, nur noch einige Meter entfernt,“ ich will dort stehen.“

„Hier? Hier stehen?“, fragte Morden. „Bevor ich dir meinen Teil der Erde überlasse, möchte ich wissen, ob du gesittet genug bist, mir deinen Namen zu nennen.“

„Das ist kein Geheimnis. Jederman kennt mich. Ich bin Vogarth, der Große Mann, von Usedri, welcher ist der stärkste Mann der Welt. Wer bist du?“

„Ich bin Morden, Sohn des Harastan, geboren dem Schildclan. Ich bin Waffenthane von Vargast und ich trage die Bürde meines Volkes in meiner Seele.“

„Gib mir deinen Platz,“ sagte der Große Mann. Natürlich konnte Morden nicht zustimmen, da ihn die Aufgabe „seines Platzes“ schwächen würde. Er würde nicht nur einfach von einem Stück Erdboden weichen, sondern ebenso die Stellung verlassen, der er augenblicklich in der Welt zu leben beschlossen hatte: die des Lagerverteidigers.

„Bist du der Große Mann, der das Drachenschiff hoch auf das Schattenplateau geworfen hat, wo es die Trolle aßen?“ fragte Morden.

„Der bin ich.“

„Du siehst nur aus wie er. Bist du der Große Mann, der den wundersamen lebenden Steinbaum aus der Fußspur bis zum Heim der Königin nach Esrolia getragen hat?“

„Der bin ich,“ sagte der Große Mann. „Jetzt werde ich deinen Platz hier einnehmen. Das ist wichtig für mich.“ Für diesen Augenblick mochte das stimmen, wenngleich der Große Mann in der ursprünglichen Geschichte wirkliche Gründe gehabt hatte, den Platz von Jeri Babo zu fordern.

„Ich denke, dass du derselbe Große Mann bist,“ sagte Morden, „der den Steinriesen mit deinem Hammer zerschlug, und den Trollkönig gerettet hat. Darf ich dich noch mehr preisen?“

„Der bin ich,“ sagte der Große Mann, „und ich werde für die Anerkennung eine Pause einlegen.“ Er schien froh, erkannt worden zu sein. All diese Wiederholungen halfen natürlich dabei, die großen Kräfte des Großen Mannes in den sterblichen Rahmen des Mannes zu zwingen, der sein Geweihter war. Mordens Erkennen und die Wiederholung des Erkennens verstärkten die vorherige Übereinstimmung noch weiter, und machten die Präsenz des Großen Mannes noch konkreter.

Natürlich verringerte es auch die Präsenz des Mannes darunter.

„Ich denke, dass du der stärkste Mann der ganzen Welt bist, man nennt dich den Großen Mann,“ sagte Morden, „und ich weiß, dass du nicht gerne kämpfst.“

„Das bin ich,“ sagte der Große Mann, „und du hast recht. Aber nun nehme ich deinem Platz dort ein.“

„Ich werde ihn dir überlassen,“ sagte Morden, „doch du bist ein redlicher Mann und ein guter, und ich möchte dich zu einem Wettstreit um den Platz heraus fordern. Kein Kampf, der wäre nicht gerecht.“

„Wettstreite sind nicht gut für mich,“ sagte der Große Mann. Er war nicht sehr schlau, und das wusste er. „Außer einem Wettstreit der Stärke.“

„Nun gut,“ sagte Morden, „ein Wettstreit der Stärke.“

„Ich bin so stark,“ sagte der Große Mann, um sich blickend nach etwas suchend, woran er sich beweisen könne, „dass ich diesen Baum dort umspucken kann.“ Und er posierte und spuckte dann. Der Baum brach in der Mitte entzwei und fiel zu Boden, als hätte ihn einer von Mordens Schilden getroffen.
„Kannst du das auch?“

„Nein,“ sagte Morden, „aber ich bin zuerst dran, weil du die Art des Wettstreits ausgesucht hast.“

„In Ordnung.“

Morden blickte umher und ging einige Schritte, um einen kleinen, grauen Felsstein auf zu heben.
„Ich kann Blut aus einem Fels quetschen,“ sagte Morden und hielt seine Hand hoch, um den Fels zu zeigen. Dann presste er und Blut tropfte heraus. Morden warf ihn zu Boden. „Kannst du das ?“

Der Große Mann starrte einen Moment lang. „Das ist Betrug,“ sagte er.

„Bist du der Große Mann,“ sagte Morden, „der den Steinbaum der Königin gab, und Vater ihrer Drillinge war? Ich habe dich gesehen und vor mir sehe ich den Großen Mann.“ Morden konnte die Intelligenz hinter den Augen seines Gegners sehen. Intelligenz bedeutete, daß der Mann dahinter den Identitätskampf mit dem Großen Mann gewann. Wenn der Mann, Namar, den Kampf gewinnen und seine Persönlichkeit durch brechen würde, verschwände der Große Mann mit seinen übernatürlichen Kräften sehr schnell.

Doch im Inneren brauchte Namar die Anwesenheit des Großen Mannes. Ein bloßer Mann konnte die Aufgabe nicht bewältigen, und er wollte es schaffen. Er hörte Mordens Worte. „Ich habe mir sagen lassen, dass du der bist, der die Galeere auf das Plateau geworfen hat und der die Bronzentore von Heorts Halle verbogen hat. Du bist der Große Mann, der redlich ist und stets bereit, sich in einem Wettstreit der Stärke zu messen.“

„Der bin ich,“ sagte der Große Mann, und blickte sich nach einem Felsstein um. Er nahm einen auf und zerdrückte ihn, dann einen anderen, und dann einen größeren, dann einen kleineren, und dann, beide Hände benutzend, mehrere in einer Reihe. Er wurde von Mal zu Mal bestürzter.

Morden lachte ihn aus. Er sagte sehr laut, „ Du hast verloren, Großer Mann. Du hast den Wettstreit verloren und musst mir nun deinen Platz überlassen.“

Der Große Mann wusste, dass es die Wahrheit war und sein langsamer Verstand war verzweifelt. Er hatte einen Wettkampf der Stärke verloren! Wie konnte er dann der stärkste Mann der ganzen Welt sein? Das war ein Ding der Unmöglichkeit!

Der Große Mann hielt inne und blickte zu Morden. Intelligenz blitzte abermals über seine Augen. „Du hast betrogen. Du hast keinen Fels genommen.“

„Was? Ist das der Große Mann oder ein Schwindler?“ rief Morden aus. „Was!“
Dann ließ er seine Kiefer in der Gottestat von Sakkars Biss zusammen schnappen, so dass das Geräusch laut genug war, um einen normalen Mann zu töten. Der Große Mann aber taumelte nur ein wenig, doch die Augen flackerten nun ärgerlich.

„So kannst du mich nicht reinlegen!“ rief er aus. Doch das war eine Einsicht, zu welcher der Große Mann niemals in der Lage gewesen wäre. „Ich zertrete dich, du Fliege.“ Und natürlich hatte der Große Mann nicht so früh im Kampf gegen Jeri Babo seine Drohungen ausgestoßen.

„Du bist der Betrüger!“ rief Morden. „Du hast einen Wettstreit der Stärke verloren und musst von deinem Platz weichen. Geh, Großer Mann! Verschwinde!“

„Das werde ich nicht! Ich dich töten, weil du den Großen Mann betrogen hast!“ In diesem Augenblick, als Namar seine eigene Identifikation mit dem Großen Mann bestritt, flackerte die gewaltige Gestalt vor Morden ein wenig, wurde unscharf und wieder scharf, und fiel schließlich mit einem seltsamen Top-Top-Top – Geräusch in sich selbst zusammen, bis dort wieder ein normaler Mann stand. „Ich werde dich töten...“

Morden lachte laut, und der Mann, wenngleich unbewaffnet und ohne Rüstung, warf sich auf ihn. Der Kampf war kurz, denn obgleich der Mann stark war, war er nur ein Mann. Morden hätte ihn einfach töten können, doch stattdessen schlug er ihn mit seiner behandschuhten Faust, warf ihn dann zu Boden und trat ihn mehrmals.

„Wer ist das, der wie ein Mann aussieht, in dem Wagen gegenüber?“ fragte Morden.

„Er ist Fürst Kerandal, der Sohn König Keranlakas, und ich bin...“

„Geh, und sage deinem Herrn, dass es mehr als Bauern braucht, um einen Krieger zu bezwingen,“ sagte Morden.

„Ich werde dich töten,“ sagte der Mann. „Ich bin...“

„Heute nicht mehr, Kleiner Mann,“ sagte Morden und trat ihn nochmals, stark genug, um seine 200 Pfund vom Boden zu heben. „Heute nicht mehr. Nun geh.“

Der Mann, Namar, der seinen eigenen Namen nicht mehr wusste, war ein Krieger und er besaß ein Amulett, welches, auch nur kurz gehalten, ausreichend die Blutungen stoppte und Schmerzen linderte, um einen verwundeten Mann zu erlauben, sich fort zu bewegen.
Namar benutzte es und ging zurück zu seinem Fürsten, und am Rad des Wagens angekommen, beugte er sich erschöpft nieder.

„Mein Fürst, ich...“

„Ich habe es gesehen,“ sagte der Fürst. „Was hat er gesagt,“ fragte Kerandal.

„Er sagte, ihr solltet einen Krieger, keinen Bauern schicken, mein Fürst. Ich bitt‘ Euch, lasst mich bewaffnen und zurück gehen.“

„Bewaffne dich und komm dann hier her zu uns zurück.“

Der großartige Dieb
„Der Mann und sein Schwert könnten eines Tages ein Held sein,“ sagte der Fürst. „Vorausgesetzt, er findet genug törichte Gegner, die durch ihn fallen. Er bevorzugt eindeutig den Nahkampf. Wir sind nicht dumm. Wir brauchen jemand, der ihn überraschen kann und Talente hat, auf die er nicht vorbereitet ist.“

„Ah,“ sagte der Fremde, „Guter Fürst, der einen Bruder haben würde. Darf ich?“

„Vielleicht ist jetzt die Zeit dafür gekommen,“ sagte der Fürst. Er wog nur einen kurzen Moment lang ab, um dann hinzu zu fügen, „Arkarthan von Lolon, ich fordere  dich auf zu gehen und diesen Fremden anzugehen. Wenn du ihn nicht töten kannst, so bringe mir zumindest sein Schwert.“

„Ich werde mein Bestes geben,“ sagte er und nach ein paar kurzen Gebeten ging er los.

Fürst Kerandal sah ihm nach und wandte sich dann an einen seiner Priester. Er sagte,“ Orandal, ich glaube ihr besitzt ein seltsames Geschenk von unseren Freund, der dort geht.“

„Ja, Herr, er gab mir dies, was er einen Stangenhaken nannte.“
Es war etwa einen Meter lang, bog sich dann weitere dreißig Zentimeter zu einer scharfen Krümmung. Es war ein Holzstab, mit Metallspitzen, und mit einen einzigen Streifen entlang seiner Länge bemalt. 

„Ich habe nicht zugehört, als er es dir gab. Würdet ihr mir sagen, was es bewirkt?“

„Es gibt einen Stern über uns, den man nicht sehen kann, und ich kann diesen Haken daran befestigen und mich daran recht weit empor ziehen. Es ist viel sicherer als Fliegen und ich kann mich darauf konzentrieren, was in weiter Ferne liegt.“

„Wenn Arkarthan bis auf Rufweite an unseren Feind gekommen ist, würdet ihr den Haken bitte benutzen und schauen, was jenseits davon ist, um zu wissen, wem oder was wir danach gegenüber stehen?“

„So lange keine Pfeile auf mich geschossen werden, oder ich angegriffen werde. Ich kann mich nicht verteidigen, wenn ich dort hänge und in weite Ferne spähe.“

„Er wird zu beschäftigt sein,“ sagte der Fürst, „bereitet Euch vor.“

Am späten Nachmittag kam ein Fremder auf Morden zu. Er trug rote Strumpfhosen, spitze Schuhe, ein grün - gelb gestreiften Wams und einen breitkrempigen Hut mit einem Waschbärenschwanz daran. Sein Gesicht war quer über die Augen bemalt, so dass es wie eine Maske aussah.

Morden hatte niemals zuvor einen solchen Mann gesehen und wusste nicht, wie er reagieren sollte.

Der Name des Mannes war Arkarthan, aber jeder man nannte ihn Blitzfinger. Er stammte aus einer Stadt mit Namen Lolon, im Land Vanch gelegen. Morden war niemals in Vanch gewesen, oder weniger als zweihundert Meilen davon entfernt. Er wusste nicht, daß dieser Mann eine nahezu perfekte Verkörperung des Ausspruches „diebisch wie ein Vanchit“ war.

Arkarthan wusste um einiges mehr über Morden. Er erkannte aus der Entfernung, dass Morden ein standhafter, zutiefst überzeugter Orlanthi war. All diese primitiven Tätowierungen, die glimmende Bronzerüstung mit den darauf gekratzten Runen, und die schmerzhafte Aura, die seine magischen Schutzzauber in die gewöhnliche Welt warfen.

Der Dieb näherte sich vorsichtig. Arkarthan war kein Dummkopf. Er hatte einem halben Dutzend bewaffneter Gegner gegenüber gestanden, wenngleich nicht so gerüstet wie der vor ihm. Aber er hatte sie alle getötet, und, was noch wichtiger war, ein weiteres Dutzend oder mehr auf weniger faire Weise.

Morden sprach, und die Einschätzung des Vanchiten stimmte überein mit dem, was ihm an Informationen mit auf den Weg gegeben wurde.

„Steh zurück, Fremder,“ sagte Morden, sein Schwert schwingend. „Es ist ein Tag zum Sterben, und du stehst im Reich des Todes.“ Die angriffslustige Absicht des Kriegers trat wie ein Schatten – wie ein Doppelgänger- aus Morden hervor und stürmte auf Arkarthan zu. Er erwartete so etwas, und obwohl jeder normale Krieger zurück gewichen wäre, wissend, dass ein Kampf gegen einen solchen Halbgott hoffnungslos sein würde, schreckte Arkarthan äußerlich nicht einmal vor der Geisterscheinung zurück. Er blieb einige Augenblicke lang stehen. Morden bewegte sich nicht, wenngleich Arkarthan sehen konnte, wie er seine Lippen bewegte. Langsam erhob Arkarthan beide Hände, Handfläche nach Außen, dem Krieger zugewandt. Und griff, mit unsichtbaren Glied, über die ganze Fläche zwischen ihnen nach dem Stein, der so hell glühte. Die Hand, sanfter als ein Kuss, fühlte einen leichten Widerstand.

Morden brüllte, warf dann seine Klinge senkrecht in die Luft. Sie drehte sich beim empor fliegen mehrfach und langsam, und Morden griff nach seinem Wurfspeer.

Arkarthan erkannte es sofort: der Schwerttrick. Er hatte ihn gesehen, als er die Sylilaner als junger Mann bekämpft hatte, und erinnerte sich an den Schrei. Damals, vor langer Zeit, rannte er seinetwegen weg. Nun aber wusste er, daß der Barbar den Wurfspeer nehmen, ihn dann im Vorwärtslauf werfen und schließlich das Schwert greifen würde, direkt bevor er auf Schwertlänge heran wäre. Arkarthan hatte gehofft, dass es so einfach sein würde. Man nannte ihn Blitzfinger, aber seine unsichtbaren Hände waren nur ein Teil seines Kapitals.

Er sprang hoch, als der Wurfspeer in Position gebracht wurde, und schnappte nach dem fliegenden Schwert, und ließ eine gut sichtbare Erscheinung seiner selbst als Köder zurück. Es funktionierte, denn als Arkarthan am Scheitelpunkt seines Sprunges balancierte, sah er Mordens Wurfspeer durch die Kehle der Illusion schießen. Das Schwert war schwer vor Magie, und so hielt er es mit beiden Händen, als er wieder auf dem Boden aufkam, hoch erhoben, um den schwertlosen Krieger nieder zu hacken, der eigentlich waffenlos vor ihm hätte stehen sollen.

Arkarthan sah nicht den Klingenschild, der seinen Unterleib aufschlitzte, als er landete. Der Dieb wurde in zwei Hälften geteilt und der fliegende Schild sorgte dafür, dass sie getrennt voneinander nieder fielen.

Arkarthan war zwar bereits einmal getötet worden, aber natürlich war er noch immer fassungslos. Er – sein Geist – stand da, zusammengekauert und balancierend das magische Schwert vor sich haltend, und blickte über seine Schulter und sah seine zuckenden Beine und seine flatternde Leber, sowie überall eine Unmenge Blut, das seine gute Kleidung ruinierte. Er war auf diesen Trick nicht gefasst gewesen, aber er wusste was zu tun war, wenn er getötet wurde.

Er wusste, wenn er seinen Geist nur schnell genug bewegen konnte, würde er seine beiden Hälften wieder zusammen fügen können und wäre binnen Sekunden wieder ganz. Er hatte sich vor Ewigkeiten darauf vorbereitet, einmal so geheilt zu werden.
Er wusste Bescheid. Er könnte es tun.

Arkarthan blickte mit seinen Geistaugen direkt in seinen eigenen erweiterten physischen Pupillen, und bewegte sich in diesem Moment in seinen Körper zurück. Es schmerzte ihn nicht so sehr, wie einen normalen Mann, weil er Arkarthan war.
Aber es waren Todesqualen und der aufgeschlitzte Torso schrie laut auf. Er blickte zu seinen Beinen, die aufhörten zu zucken, als er sie erblickte. Er fühlte seine Füsse. Dann trat Morden in sein Blickfeld.

Morden hielt sein Schwert, geneigt und leuchtend und unberührt von all dem Blut, das den Boden tränkte. Er hatte es aus der Luft genommen, wo es der Geist gehalten hatte, genau die Zeitdauer, die er benötigt hatte, um seine Gottestat des Scharfkantigen Schildes zu wirken.

Morden blickte hinab in die Augen der Magiers, den er gerade besiegt hatte. Er fühlt Widerstand gegen sein Starren, fast als würde jemand gegen seine Augäpfel drücken. Morden brüllte den Teufel zerschmetternden Schrei. Beide Augen Arkarthans platzten und Blut schoss in Strömen aus ihnen heraus, als Morden ein weiteres Mal zuschlug, den Torso abermals in zwei Hälften trennend.
Die Augen hörten auf zu sprudeln, ebenso wie sie zu sehen aufgehört hatten, und als Morden vorsichtig zurück trat, hörten die Einzelteile des Körpers auf, zu zucken und Organe auszuspucken.

Morden sprach und rief die Raben herab. Sie kamen zum Tod wie sie es immer tun, aber diesmal dank seines Gebetes schneller als üblich, und in großer Zahl. Ihre flappenden schwarzen Schwingen waren das Geräusch der Schwingen des Todes. Sie flogen mit Brocken des Feindes im Schnabel wieder davon. Der tote Magier würde nie wieder zusammengesetzt werden können, nachdem sie ihr Mahl beendet haben würden, falls überhaupt eine solche Wiederauferstehung in seiner Macht lag.
Morden, der seinen Feind nicht kannte, überließ nichts dem Zufall.

Die Raben fraßen sich voll, und flogen davon, um vor ihren Cousins damit zu prahlen. Morden sah noch rechtzeitig zu ihrer Schar hinauf, um einen Krieger auf der entlegenen Talseite zum Fürsten herabsteigen zu sehen.

Auch der Fürst beobachtete die schwarzen Scharen, die mit ihrem warmen  Festmahl entschwanden, und sah seinen Mann, der die ganze Zeit oben gehangen hatte, direkt neben ihm herab kommen, um seinem Fürsten Bericht zu erstatten.

„Hinter dem Hügel, auf dem der Held sich befindet, steht ein Bataillon Krieger, geduldig wartend, alle mit Speeren und Kappen von Bronze. Dahinter ist ein großes, viereckiges Lager, mit Holzpalisaden und Steinen befestigt. In jeder Ecke steht ein Held, und in Inneren des Lagers befindet sich noch eine weitere Armee, mit Wurfspeeren und Schilden. Ich sah dort viele Priester, und bei ihnen eine Truppe von Winden, die waren wie unser Heiliger Berg an einem Heiligen Tag.“

Der Fürst bedachte dies und sagte, „Dieser Mann ist mächtiger als ich es am heutigen Tag bin. Wie ich sehe, hat er sich seit Wochen vorbereitet, vielleicht seit der Heiligen Zeit. Ich werde mir seinen Namen merken und zurück kommen, wenn wir ebenbürtig vorbereitet sind. Es muss die Schuld des Gecken gewesen sein, mit seinen mangelhaften Waffen und seinen von Eurmal befleckten Gaben. Godi, schickt Euren Falken zurück und teilt meiner Schwester mit, dass sie nicht mehr fürchten braucht, diesen Mann heiraten zu müssen.“ Und der Godi nickte zustimmend, und sie wandten ihre Pferde um und ritten davon, um sicher ausserhalb der Reichweite der Dämmerungssprung-, Sonnenuntergangsswurf- und der Verfolgungssprunggottestaten zu sein. Wie sie da hinfort galoppierten, kauerte sich einer der Godar mit dem Schild auf dem Rücken zusammen weil er fürchtete Morden könnte die Gottestat des Tötenden Schildes des Sonnenuntergangs kennen.
Er kannte sie, aber wandte sie an diesem Abend nicht an.

Morden schaute ihnen nach, bis sie aus seinen Blick geritten waren, und kehrte dann zu seinen Posten zurück.

„Hier steht Morden“, sprach eine Stimme, und er wusste dass sie Vargast gehörte, „inmitten roter Dämpfe, die sich heiß erheben von den Pfützen tropfenden menschlichen Blutes. Er wird nicht enden bis dass die Blutsee trocken ist. Er wird nicht weichen bis dass der morgige Hahn sein Krähen beendet hat.“
Stolz war die Belohnung für Morden und er fühlte die Erschöpfung schwinden und seine Wunden hörten auf, zu schmerzen und zu brennen. Sein Stolz kam von der Gewissheit, dass der feige davon laufende Häuptling nicht zurück kehren würde. Die preisenden Worte seines Herrn waren ebenfalls ein großes Geschenk, vielleicht das größte in dieser Nacht. Morgen würde die Beute seine sein, falls er sie behalten wollte, aber Schätze waren ohne Wert für einen Mann, der bald tot sein würde, und auch kein Quell für Stolz. Sein größtes Geschenk aber war die Gewissheit, dass er sich genauso gut geschlagen hatte wie sein Leitbild, sein Held, Brekun. Er fühlte die Berührung des Lebens nach dem Tode, und es war wie ein kleiner Schluck kühlen, süßen Wassers für einen Mann, der dachte, er habe keinen Mund.

-ENDE


Auszug aus der unveröffentlichten “Harmast Saga” entnommen aus “Gloranthan Visions”. © 1999 by Greg Stafford, Übersetzung © 2001 von Stefan Drawert


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