Strangers in Prax
Rezension von Helge Reuter

Nach 'Shadows an the Borderlands' das zweite Szenarienbuch für RQ3 aus dem Hause Avalon Hill. Bei den Autoren handelt es sich, wie beim Herausgeber des Heftes, Ken Rolston, um bekannte Persönlichkeiten. Das gesamte Heft ist von solider Machart und, zumindest für meinen Geschmack, ansprechend gestaltet. Das Titelbild von Stephen Langmead hat tatsächlich einen Bezug zum Inhalt des Heftes, ohne jedoch all zuviel zu verraten - was man längst nicht von deutschen RQ-Publikationen sagen kann. Die Illustrationen sind, über Geschmack lässt sich streiten, von vergleichbarem Standard wie in den neueren Veröffentlichungen, wenn auch Freunde dieser Bilder sich ein paar mehr wünschen mögen.

Wie schon bei Shadows, handelt es sich bei dem neuen Supplement um eine Sammlung von drei Szenarios, die jedoch völlig neu sind und nie zuvor veröffentlicht wurden. Alle drei Szenarios ereignen sich an Orten entlang des Flusses der Wiegen, mit einem Schwerpunkt auf Pavis. Da in den Abenteuern selbst kaum Informationen über die Städte, Prax, Kulte oder anderes Hintergrundmaterial gegeben werden, sei es allen potentiellen Käufern angeraten, sich zumindest das “River of Cradles” zuzulegen, da es sonst schwer fallen dürfte, der Handlung immer zu folgen. Auch bauen die Abenteuer in keinster Weise aufeinander auf, was auch schlecht möglich wäre, da die Handlung eines Szenarios die Charakter ziemlich in Beschlag nimmt. Bei den Fremden, die, dem Titel zufolge, nach Prax kommen, handelt es sich nicht, wie man vielleicht meinen könnte, um die Spielercharaktere, die eine Einführung in das Leben der Tiernomaden in der Steppe erhalten, sondern um jeweils drei Gruppen von sehr unterschiedlichen Nichtspielercharakteren, die jedoch alle folgendes gemeinsam haben. Zum einen sind sie alle erfahrene Spezialisten auf ihrem Gebiet, ihre Lebensläufe sind ungewöhnlich, sie alle haben nachvollziehbare Gründe nach Prax zu kommen und immer sind es diese Gründe, die die Spielercharaktere, von denen schon angenommen wird, dass sie in Pavis, Corflu oder am Zola Fel weilen, in Kontakt mit den Fremden bringen. Jeder der Fremden besitzt Macht auf seine Art, so dass man als Spieler schnell erkennt, dass man diese Leute besser sehr ernst nehmen sollte. So sind die Fremden denn auch über weite Strecken der Abenteuer eher als Auftraggeber und Respektspersonen vorgesehen, bis sich zuguterletzt entscheidet, ob man ihr Freund, Partner oder Feind ist.

Im ersten Szenario trifft in Pavis, das sich noch immer unter der Ägide Sor-Eels befindet, eine Gruppe von hochrangigen lunaren Inspekteuren, die "Coders" ein, deren möglicher Auftrag und nonchalantes Verhalten allen Seiten viel zu denken gibt. Zwar sind dies die freundlichsten und aufgeschlossensten Lunaren, die man seit langem im Spiel gesehen hat, aber trotzdem sind sie im Auftrag des Imperators unterwegs. Der Aufbau des Szenarios ist dieser Ausgangslage angemessen. Über einen längeren Zeitraum, den der Spielleiter mit kleinen Ereignissen eigener Machart und einigen vorgegebenen ausfüllen kann, halten sich die Agenten in der Stadt auf, wobei die Spieler verschiedene Gelegenheiten nutzen können, um sich ihrer Haltung gegenüber diesen Spitzenleuten des Imperiums bewusst zu werden. Schließlich überstürzen sich die Ereignisse und eine Parteinahme für oder gegen die Sache der "Coders" wird unausweichlich.

Das zweite Szenario findet an mehreren Schauplätzen nahe des Zola Fels statt und ist in großem Maßstab angelegt. Ein merkwürdiger Seemann, den die SC nie zu Gesicht bekommen, vergibt in größeren Abstanden Aufträge, die alle nicht "ganz ohne" sind und die Spieler sicherlich neugierig werden lassen, wer dieser Kauz ist, der immer in Perlen zahlt. Schließlich treffen sie ihn im Hafen von Corfu, an der Mündung des Flusses der Wiegen, von wo aus die Handlung auf die hohe See geht, um schließlich einem geradezu haarsträubenden Höhepunkt in Corflu entgegenzusteuern. Ober den Inhalt sei nur verraten, dass es hier, frei nach dem englischen Sprichwort "Worse things happen at sea!", um einen Kampf mit einem Gegner geht, neben dem Moby Dick sich wie eine Ölsardine ausnimmt. Außerdem wird den Charakteren beim letzten Kampf klar werden, warum sie gewisse Dinge für den Seemann besorgen sollten.

Im dritten Abenteuer taucht ein echter Magus samt Adlatus in Pavis auf, der die feste Absicht hat, sich an diesem abgelegenen Ort niederzulassen. Übrigens ist dies der erste jemals von offizieller Autorenseite erstellte Zauberer, der einem einige innovative Einsatzmöglichkeiten scheinbar harmloser Zauber zeigen kann. Wie es das Schicksal will, werden die Charaktere seine Ansprechpartner und müssen sich daher entscheiden, ob sie eventuell vorhandene Vorurteile gegen Zauberer revidieren wollen. Sollten sie dies tun, haben sie in Zukunft einen potenten Auftraggeber mehr und viele Bekannte weniger. Es folgen einige grob umrissene Begegnungen, die einen angemessenen Abschluss finden, als sich der Magus im "Big Rubble" niederlassen will. Leider sind die dort schon anwesenden Bewohner nicht sehr kooperativ, und so muss eine Menge Überzeugungsarbeit geleistet werden, bis die Verhältnisse zur Zufriedenheit des Magus und der Charaktere geregelt sind. Zwar haben die Autoren auch die Möglichkeit berücksichtigt, dass die Spieler sich nicht dem Magus anschließen, aber das wäre bedauerlich, würde es sie doch um den interessanteren Teil des Abenteuers bringen.

Anders als bei Shadows, sind die Szenarien in Strangers in Prax weniger ausgearbeitet. Vielfach muss sich der Spielleiter überlegen, wie er die Zeit, in der sich die Handlung entwickelt, überbrücken soll. In den vorgeschlagenen Begegnungen fehlen häufig die Statistiken, die teilweise durch Querverweise auf ähnliche Charaktere und Kreaturen an anderem Ort, aber leider auch in anderen Publikationen, ersetzt werden. Mann kann such einige der Begegnungen überspringen und direkt zum Finale übergehen, doch mit einem vertretbaren Maß an Eigenarbeit ist jedes der Szenarien eigentlich eine Mini-Kampange, die mehrere Abende dauern kann. Ärgerlich wird dies nur, wenn dem Spielleiter die undankbare Aufgabe zugewiesen wird, die Einstellungen der verschiedenen politischen Fraktionen in Pavis gegenüber dem Magus auszuspielen - ohne das diese Parteien oder ihre Einstellungen hinreichend beschrieben würden.

Das bewährte Autorenteam folgte bei der Ausgestaltung der NSC, wie bisher in den meisten Publikationen, dem rustikalen Motto "Klotzen nicht Kleckern", ohne dass man deswegen auf detaillierte Lebensläufe verzichtet hätte. Meistens würde eine ganze Abenteurergruppe in einem Konflikt schon an einem einzelnen der Fremden oder deren Feinde schwer zu kämpfen haben, aber eine ganze Gruppe, wie die "Coders" sind einfach des Guten zuviel. Zwar hat man sich nicht in Exzesse wie im Dorastor gesteigert, aber der Durchschnittsabenteurer, geführt vom Durchschnittsspieler (!), dürfte mit seinem Latein bald am Ende sein, wenn der Spielleiter wirklich ernst machen würde. Daher scheint es mir eine eher rethorische Frage, ob die Charaktere sich gegen die Fremden stellen. Wenn sie nicht gerade eine Gruppe Runenränge sind, oder aber zu abgefeimtesten Schurkentaktiken greifen wollen, haben sie eigentlich keine echte Wahl. Daher greift man öfters in den Szenarien zu alten, bewährten Spielleitertricks, sei es, dass einer der NSC aus obskuren Gründen nicht alle seine Stärken ausspielen kann, dass die Spieler mit Magie, vorgegebenen Zielen und Plänen versehen werden oder, dass man ihnen gleichwertige NSC's zur Seite stellt, die als "Kavallerie" die Spieler retten, falls es zu brenzlig wird. Als Nebeneffekt können die Spieler oft nur als "Stichwortgeber" agieren und im wesentlichen den Recken in der ersten Reihe zusehen, wie man wirklich wichtige Probleme löst.

Im Strangers in Prax ist dies jedoch auf einem vertretbaren Niveau gehalten, so dass die Abenteuer vergnüglich zu spielen sind, wenn die Gruppe nichts dagegen hat, zu Zeiten in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt zu werden. Trotzdem ist die Grundidee des Heftes die Präsentation von mächtigen NSC's, die jederzeit das Ruder fest in der Hand halten. Warum die Autoren sich als Feigenblatt des freien Willens die nicht sehr ersprießliche Möglichkeit offen hielten, die SC könnten gegen die Fremden arbeiten, kann ich nicht ganz einsehen. Als abschließendes Urteil kann man jedoch sagen, dass Strangers in Prax sicherlich sein Geld wert ist und, richtig gehandhabt und geringfügig nachbearbeitet, besonders den erfahrenen unter den RuneQuestern besonderes Vergnügen bieten kann.


Strangers in Prax
von Michael O´Brien, Mike Dawson & Jonathan Tweet
Avalon Hill; 1994
94 Seiten, (Out of Print)


Diese Rezension wurde entnommen aus „FreeINT“ Nr. 10 und ist © Copyright 1995, 2002 by Ingo Tschinke