Regeloption für RUNEQUEST
"Hunde, wollt Ihr ewig leben?!" - oder:
Optionale Regeln für Lebenspunktverluste bei RUNEQUEST
von Thorsten Gresser

SL: „Okay. Der Bruu fällt tödlich getroffen auf den felsigen Boden. Aber der andere attackiert deinen Runenlord von der nicht durch den Schild gedeckten Seite. Mal sehen... Oi! 03! Mit dem Bonus von +10 %... Jawohl! Kritischer Speertreffer!“
Spieler: „Immer mit der Ruhe! Der Infanterieschild hat immerhin Rüstschutz 16 und bei einer Parade von 102 % würfle ich doch glatt eine (Würfel rollt) ... 98! Uh oh!“
SL: „Tja ... äh ... Das sind dann wohl 22 Schadenspunkte in die Brust. Wie sieht’s aus?“
Spieler: „Ich bin’n Brötchen. Na, was soll’s. Hab’ Arnold Windlord ja auch nur 21/2 Jahre gespielt. - Gib mir mal den Schlüssel. Ich geh’ in den Heizungskeller mich erhängen.“

Das ruhmlose Ende eines Runenlords - und schon wieder wählte ein engagierter RuneQuest-Spieler den Freitod, weil die an sich sehr realistischen RQ-Regeln in einem Punkt ein wenig zu wirklichkeitsnah sind. D.h. sind sie es wirklich? Ist es wirklich unmöglich, einen „Volltreffer“ mit dem Speer zu überstehen? Oder drei Dolchstiche in den ungepanzerten Unterleib? Die Regeln sind hier eindeutig: Sofern nicht ein schwindsüchtiger Zwerg mit Asthma, Silberblick und -1W4 Schadensbonus die Klinge führt, ist die Fahrkarte nach Walhalla schon gestempelt. Im ‘richtigen Leben’ aber keinesfalls und in der heroischen Literatur schon gar nicht. Aus diesem Grund - und weil ich der Meinung bin, dass es im Rollenspiel nichts Langweiligeres gibt, als ständig und bei jeder etwas schwereren Schnittverletzung abzukratzen - möchte ich folgende optionale Regeln zum Lebenspunktverlust zur Diskussion stellen:

1. Option: Der Sensenmann klopft immer zweimal an ... (oder: Ich bin ja noch gar nicht tot!)
Diese Option ist dazu gedacht, das Ableben des liebgewonnenen Helden noch ein Weilchen hinauszuschieben und zwar folgendermaßen: Sobald der Charakter auf 0 oder weniger Lebenspunkte fällt, wird ein Konstitutionswurf ´ 5 fällig. Misslingt dieser - amen. Gelingt er aber, bleibt der Charakter solange am Leben, bis seine Lebenspunkte auf -10 fallen (z.B. durch Blutverlust oder weil der Gegner noch einmal mit dem Schwert nachlegt). Der Charakter bleibt solange im Koma, bis er wieder auf min. 1 LP hochgeheilt ist. Sollte er allein auf dem Schlachtfeld und ohne Hilfe liegen bleiben (oder unter ähnlich ungeschützten Bedingungen), so sollte der Spieler alle 12 Stunden verstrichener Spielzeit einen Konstitutionswurf ´ 5 machen, um ein vorzeitiges Ableben seines Charakters zu verhindern. Bei einem erfolgreichen Erste Hilfe-Wurf durch einen Pflegenden fällt dieser Wurf weg. Der Pfleger muss allerdings jeden Tag (bis zum Erwachen aus dem Koma) erfolgreich „ersthelfen“, andernfalls muss der Verletzte wieder gegen seine Konstitution würfeln. Bei einem kritischen Erfolg (beim Konstitutionswurf oder Erste Hilfe) müssen keine weiteren Würfe gemacht werden: Der Verletzte ist über den Berg und muss nun nur noch in Ruhe ausheilen. Effekt: Spielercharaktere (und wichtige Nichtspielercharaktere) überleben länger, ohne darüber hinaus besonders robust oder außergewöhnlich hart im Nehmen zu sein. Mit dieser Regel ist es darüber hinaus auch möglich, mit gutem Gewissen, ohne übermäßiges Schummeln oder ein regelmäßiges Schlachtfest unter den Spielercharakteren magiearme Kampagnen oder Kampagnen ganz ohne Magie zu spielen (wie z.B. die FREE INT-Kampagne im Dreißigjährigen Krieg).

2. Option: Autsch, ... oh ... nur ‘ne Fleischwunde! (oder: Errol Flynns Erben) Diese Option ist etwas für Fans von Mantel-und-Degen-Kampagnen sowie alle, die es gerne wild, draufgängerisch und optimistisch mögen.
Sobald ein Charakter durch einen Treffer soviel Schaden nähme, dass er auf unter 3 LP fallen würde, darf er einen Glückswurf (Manawurf ´ 5) machen. Bei Gelingen nimmt er nur einen Schadenspunkt, bei einem kritischen Erfolg gar keinen. Ein kritischer Fehler hat keine besonderen Auswirkungen.
Effekt: Die Überlebenschancen der Spielercharaktere steigen rapide und ermuntern diese zu einem draufgängerischen, wagemutigen Spiel, insbesondere dann, wenn diese Option mit Option 1 kombiniert wird. Der Effekt kann sogar noch gesteigert werden, wenn man für jeden Schaden, der potentiell eine Trefferzone auf 0 senken würde, einen Glückswurf gestattete.

3. Option: Der Julius-Cäsar-Effekt (oder auch: das Störtebecker-Syndrom) Als Julius Cäsar 44 v.u.Z. von 35 Messerstichen seiner Senatskollegen zu Boden ging, hatte er immer noch Zeit für Konversation: „Et tu, Brute?“ - Der Sage nach rettete Störtebecker einige seiner Mitpiraten, indem er nach seiner Enthauptung kopflos an ihnen vorbeiging und dadurch einem Teil von ihnen das Henkersbeil ersparte. Wir sehen: beide waren hart im Nehmen. Sollten es RQ-Charaktere nicht einem Cäsar oder Störtebecker gleich tun können?
Doch, mit Option Nr. 3: Sobald ein Charakter auf 2 oder weniger Lebenspunkte fällt, steht ihm ein Konstitutionswurf ´ 5 zu. Gelingt dieser, bleibt er bei Bewusstsein, hat aber halbierte Chancen für alle Fertigkeiten mit Ausnahme von Göttlicher Magie und Magiewiderstandswürfen. Seine Ausdauerpunkte fallen auf 0. Sollte der Wurf nicht gelingen, so wird er ohnmächtig bzw. - so seine Lebenspunkte 0 oder weniger sind - stirbt augenblicklich. Sollte er bei Bewusstsein bleiben, so muss er von nun an am Ende jeder Runde einen Konstitutionswurf schaffen, um nicht ohnmächtig zu werden. Sobald er auf den negativen Wert seiner normalen Lebenspunkte fällt, muss ihm ein erneuter Konstitutionswurf gelingen, um nicht zu sterben. Alle weiteren 5 Schadenspunkte wird ein erneuter Konstitutionswurf gemacht, wobei sich der Multiplikator aber jeweils reduziert: auf ´ 4, ´ 3, ´ 2, ´ 1. Sobald der Multiplikator auf weniger als ´ 1 sinken würde, ist das Schadensmaß endgültig voll und der Charakter reitet in die Ewigen Jagdgründe. Sobald der Charakter die Besinnung verliert, fällt er in ein Koma und es wird wie unter Option 1 verfahren. Da diese Option zu Anfang etwas gewöhnungsbedürftig ist, hier ein kurzes Beispiel:
> Der schon vorgestellte Runenlord nimmt 22 Schadenspunkte durch den Speertreffer des Bruu und fällt damit auf -7 LP (er hat normalerweise 15 und war unverletzt). Nun muss er einen Konstitutionswurf gegen seine KO 13 machen. Er würfelt eine 51. Er bleibt also bei Bewusstsein, seine Fertigkeitschancen halbieren sich aber. Zwei Kampfrunden (und zwei Konstitutionswürfe) weiter fügt ihm der Bruu erneut einen schweren Treffer zu und unser Runenlord fällt auf -17 LP. Erneut muss ihm ein Konstitutionswurf ´ 5 gelingen, um am Leben zu bleiben. Da der Bruu in den nachfolgenden Runden Verstärkung erhält, wird unser Lord wohl noch mehr Treffer einstecken müssen und bei -20 LP (´4), -25 LP (´3), -30 LP (´2) und -35 LP (´1) um sein Überleben würfeln. Sollte er das Pech haben und auf -40 LP fallen, so kommt endgültig jede Hilfe zu spät.
Bei Schäden gegen die Trefferzonen ist zu beachten, dass diese Regeloption keine Auswirkung auf die beschränkte Nutzung von verletzten Armen und Beinen hat - ein Bein, das auf 0 oder weniger LP fällt, ist weiterhin unbrauchbar. Sofern es nicht völlig unbrauchbar, also auf den Minuswert gefallen ist, kann der Spielleiter die Benutzung einer verletzten Gliedmaße zu halbierten Erfolgschancen gestatten.
Die Auswirkungen der Treffer auf Kopf, Brust oder Unterleib (Besinnungslosigkeit, Verlust der Beweglichkeit von Armen und Beinen) entfällt allerdings, sofern ein Konstitutionswurf ´ 5 gelingt (pro Runde). Die Regel zum heroischen Kampf entfällt, da man unter Option Nr. 3 schon mit Konstitutionswurf 5 heroisch weiterkämpfen kann. Die Möglichkeit des Blutverlustes besteht aber weiterhin.

Effekt : Nicht nur verlängert sich das Leben der Spielercharaktere und Hauptprotagonisten, sondern es vergrößern sich auch ihre Möglichkeiten zu heldenhaften Aktionen. Allerdings ist diese Option mit einem gewissen Mehraufwand an Würfelei und Buchhalterei verbunden, was aber nur dann akut wird, wenn man nach den gängigen Regeln schon längst Würmerfutter wäre. So gesehen hat man nicht ein Mehr an Regeln, sondern die Möglichkeit, länger als sonst die Gegend unsicher zu machen.

Fazit
Alle drei angeführten Optionen haben gemeinsam, dass sie das Leben der Charaktere und damit die Freude am Spiel verlängern, ohne jedoch eine ‘Überlebensgarantie’ darzustellen. Insbesondere Option 1 lässt sich auch problemlos für Spielbalance und Ohnmachtsgefühl der Spielercharakter in Call of Cthulhu übernehmen. Option 3 ist dagegen besonders für Sturmbringer/ Elric! geeignet. Bei jeder der angeführten Optionen gilt jedoch: RuneQuest-Kämpfe bleiben weiterhin gefährlich. Doch ist der Kampf nicht in jedem Fall nach dem ersten Glückstreffer beendetern die Möglichkeit, länger als sonst die Gegend unsicher zu machen.